Eigentlich räumt niemand gerne auf
eigentlich räumt niemand gerne auf (3)
Öl, Gesso, Beton auf Leinwand, 210x230cm
eigentlich räumt niemand gerne auf (2)
Öl auf Leinwand, 210x240cm
eigentlich räumt niemand gerne auf (4)
Öl, Gesso auf Leinwand, 210x240cm
eigentlich räumt niemand gerne auf (1)
Öl, Gesso auf Leinwand, 210x230cm
Weiterswipen, weil dann ja immer noch was besseres kommen kann.
Was ich meine, ist die Umkreisung eines Raumes, der vielleicht real existiert,
vielleicht auch nicht und der etwas mehr ist als nur ein Zimmer. Er ist eine Projektion,
eine Erinnerung und ein Gefühl gleichermaßen.
Prolog
Big Edie sitzt mit einem riesigen Sonnenhut auf dem Kopf im Bett und singt.
So geht es los. Im Sommer 1973 wurden Big und Little Edie – Tante und Cousine von Jackie Kennedy – in ihrem Haus in East Hampton, Upstate New York mehrmals von einem Dokumentarfilmer-brüderpaar besucht und gefilmt. Zu diesem Zeitpunkt bewohnten sie von den 28 Zimmern von Grey Gardens nur noch fünf und teilten den Rest großzüging mit Katzen, Waschbären und der üppigen Vegetation aus dem Garten. Ich beobachte, dass sie auf eine besondere Art und Weise mit ihrer Umgebung verschmelzen, dass sie sich mit dem ganzen Müll, mit dem die Villa sich im Lauf der Zeit angefüllt hat, in einem fast schon symbiotischen Verhältnis befinden.
Big Edie verwendet nur noch ein Viertel ihres Bettes zum Darinliegen, weil der Rest voll ist mit benutzten Papiertaschentüchern, Kartonresten und einem Campingkocher. Little Edie streift durchs Haus und entdeckt andauernd Dinge, die in ihren Händen eine neue Bedeutung zugeschrieben bekommen und die damit aus ihrem Dasein als bloße Rückstände eines vergangenen Lebens in Grey Gardens erlöst werden. Die Edies führen einen Haushalt, der keiner Norm von Sauberkeit und Ordnung zu entsprechen scheint und leben zugleich auch einfach ein sehr normales Leben zuhause.
Mit der Umgebung verschwimmen. Platzierungen infrage stellen und damit Unordnung zulassen. Damit dem Umstand entgegenkommen, dass sich gar nicht sagen lässt, welchen Zugriff die Umgebung auf das Umgebene hat. Also wie sie letztendlich auf einen einwirkt. Und auch dem Umstand entgegenkommen, dass man selbst nur begrenzt davon ausgehen kann, eine Art agency der Umgebung gegenüber zu haben. Wie man sich ihr gegenüber zu verhalten in der Lage ist. Es gibt keine Zwänge mehr, nur noch Kontrollverlust. Eine gewisse Orientierungslosigkeit geht damit einher, vielleicht die postmoderne Position schlechthin. Man könnte überall sein oder auch nirgendwo und dann ist ein vollgemülltes Bett vielleicht gar nicht so ein schlechter Ort, weil da zumindest noch was passiert und die Weichheit durch irgendetwas gestört wird, was einem einen wohligen Schauer am Rücken verursacht. Das Unbehangen oder die Scham werden verschwindend gering oder verschieben sich maximal auf die Tatsache, dass Oben und Unten nicht immer gleich sind.
Abschnitt A) /Überschrift: Teil 1
Wir schauen einen finnischen Film über einen Typen, der alles, was er besitzt, in einen storage room bringt, und sich dann im Lauf der folgenden 365 Tage jeden Tag nur einen Gegenstand davon zurückholt. Ich muss daran denken, dass ich einmal, als ich ungefähr vier war, beschlossen habe, von Zuhause wegzugehen. Ich erinnere mich, einen kleinen Papierkoffer gepackt zu haben, aber weiß nicht mehr, was er beinhaltete. Das lässt mich dann eine ganze Weile nicht mehr los. Es würde mich so viel mehr interessieren, was ich als Vierjährige als absolut essenziell betrachtet habe, als jetzt. Wahrscheinlich ist dieser Tag, an dem ich ausgerissen bin, der erste gewesen, an dem ich selbstständig darüber entschieden habe, was die mich unmittelbar umgebende Dingwelt ausmachen soll. Offensichtlich ist das nicht besonders viel gewesen. Das war aber auch sehr sicher schon dadurch beschränkt, dass man als Vierjährige jetzt nicht so viel mehr als einen kleinen Papierkoffer casual durch die Gegend tragen kann. Ohne dass einem jemand hilft.
Es geht natürlich nicht nur um Dinge.
Bei Hegel wird Umgebung als Speicherort mit verschiedenen Möglichkeiten, als Potenz zur Handlung, verstanden. Das hat im Grunde genommen den Gedanken zur Wurzel, dass sich die Umwelt unter jedem Umstand zu Nutze gemacht werden kann, dass ich mir ganz alleine aussuchen kann, zu welcher Handlung ich schreite. Welchen Gegenstand ich als nächstes aus dem storage room hole.
Mittlerweile wird Umgebung eher als räumliche, beziehungsförmige Anordnung gdacht. Ein Umgebungsverhältnis ist immer eine Verschränkung, in der das Umgebende nicht nur außen und das Umgebene nicht nur innen ist. Keine Form des In-Beziehung-Setzens von Subjekten und Objekten ist davon ausgeschlossen. Subjektwerdung ist diesem Verständnis nach immer Teil einer spezifischen Situation
der Verflechtung.
Ich glaube, das heißt, wir stecken eigentlich immer sofort in Schwierigkeiten, wenn wir doch mal versuchen, Kontrolle über das Drumrum zu erlangen. Ordnung zu schaffen und eine geregelte Umgebung für unser Handeln herzustellen.
Einige Jahre nach meinem Ausrissversuch haben wir damit angefangen, uns häufiger im Baumarkt zum Spielen zu treffen. Wir sind in den uns gigantisch vorkommenden Regalen herumgeklettert und ich habe oft davon geträumt, einmal bis ins Überlager zu kommen und die ganze Sache von oben zu sehen. Wie die Ordnung keinen Sinn mehr machen würde, weil das Leitsystem nur funktioniert, solange man nach oben schauen muss. Ich hätte dann vielleicht schon verstanden, das man es einfach immer ein bisschen falsch macht. Dass der Platz der Dinge und die Bedeutung, die wir diesem Platz zuweisen, extrem fragil sein muss, wenn nur eine kleine Verschiebung der Perspektive alles ins Wanken bringt. Ich hätte dann vielleicht schon verstanden, dass es eigentlich gar nicht so selbstverständlich ist, zu sagen, hier bin ich und hier höre
ich auf und hier fängt der Baumarkt an.
Ich erkläre das Experiment mit dem storage room für gescheitert. Ich nehme meinen Papierkoffer und gehe wieder rein. Little Edie liegt am Strand und redet davon, endlich mal rauszukommen.
Vielleicht muss man die Sache auch eher vom Anfang her denken. Also ausgehend vom Bedürfnis danach, die Umgebung zu ordnen und zu deuten und zu lesen und sich dabei auch selbst lesbar zu rendern.
Girl Aesthetics.
Ich will ein Makeover. Ich google: Leinenbettwäsche bio. Dass ich die haben will, liegt nicht daran, dass ich in letzter Zeit superviele Bilder in meinem Feed hatte mit schönen Händen, die schöne Keramik mit appetitlichem Kaffee darin über unglaublich ungezwungen drapierter Leinenbettwäsche halten.
F sagt: vielleicht wirst du jetzt zum Vanilla Girl.
Ich weigere mich allerdings noch, eine Wand in meinem Zimmer beige zu streichen. Wie wird Umgebung zu so etwas wie Erweiterung? Oder: Wann wird Koexistenz zu Beziehung?
Abschnitt B) /Überschrift: Teil 2
Vor Kurzem habe ich gelernt, dass der Unterschied zwischen öffentlich und privat bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein semantisch eher mit den Begriffspaaren offenbar/ offenkundig und heimlich/geheim
ausgedrückt worden ist. Heimlich und im Winkel bildeten synonyme Bezeichnungen von Bereichen, die verdächtig, von der Allgemeinheit und ihrem uneingeschränkten Zugriff abgeschirmt oder abgeschnitten waren. Daran finde ich zweierlei interessant: Zum Einen die etymologische Nähe von heimlich/geheim und Heim/heimelig. Und zum Anderen die räumliche Verortung dieser Bereiche in der Ecke (vielleicht könnte man auch sagen: am Rand dessen, was sichtbar ist).
Das Heim/das Häusliche ist etwas, das dann seit der Herausbildung einer bürgerlichen Gesellschaft ganz selbstverständlich als Teil der Entäußerung innerer Vorlieben (und damit sowohl Prägungen als auch Projektionen) des Subjekts verstanden wird. In seinem Zuhause dehnt sich demzufolge das Subjekt als Selbst aus und prägt sich damit seiner Umgebung ein. Es wird zum Individuum. Es wird zum Individuum, das bewohnt. Es schließt die Tür hinter sich und ist alleine mit sich.
Ich schließe die Tür hinter mir und bin alleine mit mir. Ich ziehe mich im Dunklen aus und lasse die Klamotten dann genauso auf dem Boden liegen. Ich schaue mich im Spiegel an. Ich drehe mich um und betrachte die Kleiderhaufen auf dem Boden, die Bücherstapel neben dem Bett, die leeren Schüsseln und Tassen auf dem Schreibtisch und der Fensterbank. Hier bin ich und das ist, wo ich wohne. Vielleicht finde ich es gemütlich. Ich weiß es nicht mehr so genau.
Die Heizung knackt. Deswegen schlafe ich in letzter Zeit nicht gut. Sie ließe sich entlüften, es gibt YouTube-Videos dazu. Sie sind nicht lang, trotzdem reicht meine Aufmerksamkeitsspanne nicht aus, um mitzbekommen, wie vermieden wird, dass die Heizungsentlüftung zu einer Zimmerbewässerung wird. Der Schlafmangel führt dazu, dass ich mich nur schlecht konzentrieren kann.
Ich gehe auf TikTok und schaue mir die Hintergründe an.
Viele Zimmer, die auch nur so mäßig aufgeräumt sind. Das finde ich okay. Wie viel ist das Zimmer denn jetzt wirklich Selbstentäußerung und wie viel ist es einfach nur situativer Zufall? Was ist intentionale Ausdehnung, was ist Verschmelzung und was ist der Rest?
Ich mache mein Bett nur, wenn meine Freundin da ist. Sie schaut mir dabei zu, wie ich das Bett mache und sagt dann, vielleicht mache ich das nächstes Mal lieber. Später essen wir etwas und sie spült die Teller, die sie vom Schreibtisch und von der Fensterbank eingesammelt hat. Ich schaue ihr dabei zu, wie sie spült und sage dann,
vielleicht mache ich das nächstes Mal lieber.
Ende: Umziehen, Zähne Putzen, Ab Ins Bett
John David Rhodes schreibt in einem Aufsatz über Grey Gardens: Das Leben von Big und Little Edie an sich, genauso wie der Film, sind vor allem „studies in an intensity, density, and specificity of being in one place in a particular time in a particular manner.“
Und das ist das Besondere, das Spezifikum eines einzelnen Lebens, was es gleichzeitig mit allen anderen Leben gleichsetzt: Es gibt Dinge, die getan werden müssen, abhängig von der jeweiligen Umgebung und den Ansprüchen an sie und diese ganzen spezifischen Verhältnisse sind meistens gar nicht wahrnehmbar oder erscheinen obsolet.
Und von hier aus geht es dann immer weiter.



